Geschichte auf Rädern und Ketten und überhaupt

 

Ein Fahrzeugtreffen in Holland zieht an zwei Tagen zehntausend Besucher an. Wir haben uns das mal angesehen.

Im Westen der Niederlande, ganz nah der deutschen Grenze liegt die Gemeinde Overloon. Hier ist es flach, wie anderswo in Holland auch, nur gibt es mehr Wald. 3.600 Menschen leben in schmucken Häuschen mit Klinkerfassaden. Alte Gebäude gibt es nicht. Nach einer drei Wochen langen Panzerschlacht im Herbst 1944 ist das alte Overloon verschwunden.
Vor allem deshalb entsteht hier nach dem Krieg schon 1946 ein Nationales Kriegs- und Widerstandsmuseum. Seit 2010 lädt das Haus jährlich zu besonders ‚bewegenden‘ Veranstaltungen ein. Im Frühjahr kommen aus der ganzen Welt Sammler von deutschen Militärfahrzeugen, private wie staatliche. Im Sommer sind die amerikanischen Fahrzeuge dran. Das Prinzip ist einfach und das Ganze wohl organisiert. Die Eigner bewegen ihre Mobile selbst auf einem Parcours, der, extra angelegt und gepflegt, ca. 2,2 Kilometer lang durch den Wald rund um den Museumskomplex führt. Dabei nehmen sie zahlende Besucher mit. Kasse macht das Museum. Wer einen Kübel- oder Schwimmwagen nur aus dem Fernsehen kennt, das Kettenkrad und die 18-Tonner Halbkette nur aus dem Computerspiel, der kann hier ein- und aufsteigen und sich in natura einen Eindruck davon verschaffen, der weit über ein normales Museumserlebnis hinausgeht. Denn in einem Museum steht ja meist alles einfach nur so rum, egal, wie mobil es einst gewesen ist. Da verkümmert selbst ein Mach-2-Jet zum bizarren Staubfänger.

Schlacht als Verantwortung und Chance

Overloon ist, wie Seelow, Schauplatz einer großen Schlacht am Ende des Zweiten Weltkriegs. Und Overloon hat, wie Seelow, ein Museum zu dieser Schlacht. Aber schon dort hören die Gemeinsamkeiten auf. Während die Schlacht um die Seelower Höhen im hiesigen Museum auf gerade noch der Hälfte seiner spärlichen 80m² weitgehend exponatfrei abgehandelt wird, laden in Overloon fast 4.000m² zum Besuch ein – und zum Bleiben. Gäste berichten erfreut, dass sie fünf Stunden vor Ort waren, ohne sich auch nur einen Moment zu langweilen. Sie loben Exponatvielfalt, Kindertauglichkeit, das Restaurant, den Shop. So klingen zufriedene Museumsbesucher. Allein im Jahr 2012 kamen 100.000. Die Besucherzahlen der Gedenkstätte Seelower Höhen dümpeln mit Tendenz zur Schwindsucht unter jährlich 15.000 dahin. Woran liegt das? Vielleicht daran, das Seelow heute all das nicht hat, was Overloon vorweisen kann: ein großes Haus mit vielen Exponaten, ein Restaurant, einen Shop, viele Veranstaltungen und und und … und vor allem nicht die Aussicht, dass sich das ändern könnte. Die historischen Voraussetzungen (bedeutsame Schlacht) sind also recht gleich, sogar mit einem Vorteil für Seelow. Diese Schlacht kennen weltweit mehr Menschen als das holländische Pendant. Die Frage ist, wer was daraus macht und wie. Der Overlooner Harrie van Daal gründet das Museum, noch bevor das Dorf wieder aufgebaut ist. Der Mann ist Verwaltungsbeamter, kennt auch die einstigen Schlachtfelder des I. Ersten Weltkrieges und findet es wichtig, für die Zukunft daran zu erinnern, warum seine Heimat verwüstet worden ist. So wird Overloon das erste westeuropäische Kriegsmuseum. Dieses Engagement imponiert sogar den Deutschen, die van Daal mit dem Bundesverdienstkreuz ehren. Overloons Botschaft ist einfach und treffend: „Der Krieg gehört ins Museum“.
Genau! Dort und nirgendwo anders ist er bestens aufgehoben. Dabei spielt in Overloon niemand Krieg nach – eine der großen Befürchtungen, immer dann, wenn es um die museale Aufbereitung dieses Themas geht. Als wäre das Nach-Spielen schrecklicher als der Krieg selbst. Obwohl wir ganz genau wissen, dass es dergleichen Vor- und Nachspiele nicht braucht, um auch heute reichlich ganz reale Kriege zu führen, verdammen wir das eine, ohne das andere auch nur ansatzweise zu verhindern.

 

Der Krieg im Museum

Das holländische Kriegsmuseum liegt in einer waldreichen Parkanlage. Der Museumsbau ist völlig schmucklos, rein funktional. Das freut, denn Besucher erwarten die Qualitäten eines solchen Museums im Inneren. Architektonische Höhenflüge rauben Zeit, Geld und Nerven, bis sie verwirklicht sind und die Gäste haben rein gar nichts davon, wenn der Bau sich in den Vordergrund und vor die eigentlich zu erzählende Geschichte schiebt. In Deutschland ist das weidlich bekannt: die öffentliche Aufmerksamkeit arbeitet sich an der unverschämt teurer als geplant errichteten Hülle ab, die einer der notorisch für solche Aufgaben umworbenen Stararchitekten kreiert hat. Der Zweck heiligt fortan die Mittel und die explodierenden Kosten. So entstehen Denkmäler neben Denkmälern, Mahnmale neben Mahnmalen, Ausrufezeichen neben Ausrufezeichen; als führten nur doppel-, drei- und auch zig-fache Botschaften zu dem Ziel, nach einem Museumsbesuch klügere, verständigere und friedlichere Menschen zu haben als zuvor. In Overloon existieren all die Aufgaben und Annehmlichkeiten eines besucherfreundlichen Museums in friedlicher Koexistenz mit Bildungsaufträgen aller Art. Jahrelang lebte das Haus mit einer deutlich angejahrten Ausstellung zum nationalen Widerstand in der Besatzungszeit. Seit jüngstem steht diese Exposition mit sichtbarem Aufwand völlig neu gestaltet auf größerer Fläche da denn je. Viele Stationen laden die Besucher zum Interagieren ein – was nicht jene schnöde Wischflächen meint, auf die hierzulande so manches Haus stolz ist. In Overloon sind das durchkomponierte, abwechslungsreiche Stationen, die mitunter den Einsatz des ganzen Körpers erfordern. Die Besucher erarbeiten sich ihr Wissen quasi selbst, und das mit Freude. So was bleibt haften. Die Ausstellung ist voll von Menschen und es sind überwiegend junge. Es ist das Wochenende, wo um das Museum herum deutsche Militärfahrzeuge unermüdlich rasselnd und knatternd ihre Bahnen ziehen. Und das zieht Besucher aus ganz Europa an. Bis zu 7.000 pro Tag hat es in Overloon schon gegeben, wenn Militracks auf dem Programm stand. Dann ist reinstes Gewimmel auf dem Gelände, die Markstände umringt, Restaurant und Museumsshop platzen aus den Nähten, die Dauer- und Sonderausstellungen sind voll, viele Familien sind zu sehen und noch mehr Kinder. Der Kampf gegen das Besatzungsregime, die Repressionen gegen die Zivilbevölkerung, das Leiden der holländischen Juden, die Kollaboration etlicher Landsleute mit den Besatzern – auch die völlig neu gestaltete Ausstellung spart nichts aus. Und sie geizt nicht mit Mitteln. So etwas ist vor allem möglich, weil das Haus konsequent besucherorientiert arbeitet. Das füllt die Museumsschatulle und das braucht es, um auch so ein aufwändiges Projekt wie eine neue Dauerausstellung realisieren zu können.

 

Türöffner zur Geschichte

Dass bei Militracks etwas fährt, was sonst steht, dass es anzusehen, zu hören, auch zu riechen und durch das Mitfahren direkt zu erleben ist, dass macht den Reiz dieser Veranstaltung aus. Viele Fahrzeuge auf einem Fleck zu sehen, die sonst das ganze Jahr über Europa verstreut sind, wirkt ebenso anziehend. Trotz Brexit stehen Sturmgeschütz und Jagdpanzer von englischen Sammlern unter Overloons Bäumen. Das Sturmgeschütz war einst ein Beutestück der Briten in Nordafrika. Hier steht es umringt von Besuchern und sein Besitzer beschreibt immer wieder geduldig, wie er das Stück aus einem komplett zerschossenen Schrotthaufen aufgebaut hat. Amerikaner, Russen, Franzosen, Luxemburger, Belgier fahren ihre Halbkettenfahrzeuge über den Parcours und erklären den Besuchern die Funktionsweise ihrer Gerätschaften. Der deutsche Spähpanzer aus dem französischen Panzermuseum Saumur zieht die Blicke auf sich. Das staatliche Museum ist jedes Jahr mit einem anderen Stück aus seiner großen Sammlung dabei. Für das polnische Panzermuseum in Poznan ist es eine Premiere. Dessen Chef, ein Offizier der polnischen Armee, hat mit seinen Leuten per Tieflader eine seltene 8-Tonner Halbkette mitgebracht und steuert sie selbst durchs Gelände. Private Sammler kommen aus Norwegen, auf dem Trailer eine Krupp-Protze oder ein Mercedes 170VK Kübelwagen. Überall, wo der Krieg war, von dort her kommen Menschen, die sich auch heute noch mit ihm beschäftigen; und sei es auf die Weise, dass sie historische Militärfahrzeuge sammeln, restaurieren, erhalten und vorführen. Allein das Thema unterscheidet sie von anderen Oldtimersammlern. Deren historische Auto-Welt erscheint bunter und friedlicher als sie tatsächlich war. Was unterscheidet die Fahrt in einem Militäroldtimer von der in einem Zivilfahrzeug? Per se nichts, was für manche den Gedanken unerträglich erscheinen lässt, in der Freizeit in ein Kriegsmobil zu steigen und womöglich noch seine Kinder reinzusetzen. Doch, umgeben von einem lebendigen Museumsareal, mit vielfältigen Angeboten des Lernens über die Schrecknisse vergangener Zeiten, ist die Fahrt nicht Selbstzweck sondern ein Türöffner zum Beschäftigen mit Geschichte. Solche Türöffner braucht es, wo doch der zeitliche Abstand, die historischen Ereignisse unserer Wahrnehmbarkeit immer mehr entrückt, der Wahrnehmbarkeit unserer Nachkommen erst recht. Welchen Anlass sollte junge Menschen haben, sich heute mit Ereignissen von vor über 70 Jahren zu befassen? Wie lassen sie sich für nicht selbst gelebte Leben und nicht selbst erlittene Leiden interessieren, oder einfach nur für das „was früher war“? Wenn das mal eine mattgraue Zugmaschine schafft, die ein Hingucker ist, weil sie vorne Räder und hinten Ketten hat, dann sollten wir das nutzen.

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