Das Grosskampfverfahren
Heinricis Falle an der Oder ?

Die Abwehrtaktik des Großkampfverfahrens entwickelt die deutsche Seite bereits im Ersten Weltkrieg. Generaloberst Gotthard Heinrici verfeinert diese “bewegliche Verteidigung”, um auf den Großangriff der Roten Armee im Oderbruch vorbereitet zu sein. Dafür läßt er hinter der vordersten Frontlinie eine Hauptkampflinie tief gestaffelt anlegen. Ihren Abschluss hat sie in einer Großkampfstellung. Um der vernichtenden Wucht der Artillerieschläge des Angreifers zu entgehen plant Heinrici, die eigenen Truppen kurz vor Beginn des Angriffs aus den vorderen Linien zu lösen und sie weiter westlich in die Tiefe der eigenen Hauptkampflinie und der Großkampfstellung einzugliedern.
Im Detail bedeutet das für die Schlacht um die Seelower Höhen, dass die Truppen buchstäblich in letzter Minute in die vorbereiteten Stellungen der zweiten und dritten Verteidigungslinie des ersten Verteidigungsstreifens und in die erste Linie des zweiten Verteidigungsstreifens umgegliedert werden.
Der dann erfolgende Angriff des Gegners – so das Kalkül von Heinrici – nimmt leicht die leeren, vorderen deutschen Gräben ein und das sowjetische Artilleriefeuer geht teilweise ins Leere. Damit wird die deutsche Infanterie dem verheerenden Artilleriebeschuss entzogen und der sowjetische Angriff trifft nach geringen Geländegewinnen auf eine gut besetzte deutsche Hauptkampflinie.

Hier soll der Verteidigungsplan wirken, indem die starke deutsche Hauptkampflinie mit der dahinter liegenden Großkampfstellung ein nicht zu überwindendes Hindernis darstellt, an dem der Angriff abprallt und sich die gegnerischen Truppen aufreiben.
Ein gleich darauf durchgeführter Gegenstoß soll den einkalkulierten, anfänglichen Geländeverlust wieder bereinigen.
Bei dieser Operation ist ein Faktor sehr entscheidend – der Zeitpunkt, an dem die nach hinten gerichtete, eigene Ausweichbewegung einsetzt. Erfolgt das Ausweichen zu früh, erhält die Angreifer die leeren vorderen Stellungen geschenkt. Zudem entfällt das Überraschungsmoment.
Ist der Zeitpunkt zu spät gewählt, hat dies ebenfalls fatale Auswirkungen. Die zurückgehende Truppe hat in der Bewegung weniger Kampfstärke, ist dem Feindfeuer stärker ausgesetzt, hat wenig Schutz und wenig “unbesetzte”, in der Tiefe liegende Kampfräume, die sie nicht ausreichend schützen können.

Heinrici wählt den Zeitpunkt haargenau richtig. Das Ausweichmanöver startet unmittelbar vor dem sowjetischen Angriff in der Nacht vom 14. zum 15. April 1945. Bis auf wenige Vorposten, die in den vorderen Stellungen verbleiben, gelingt das Verlegen der deutschen Truppen in die hinteren Kampfräume.
Die derart gestärkten Verteidiger können den Angriff der Roten Armee ca. 2km ostwärts vom Rand der Seelower Höhen zum Stehen bringen – genau am Rand der Großkampfstellung.

Bilanz

Durch die perfekte Durchführung der Vorbereitung des Großkampfverfahrens „tappt“ Georgi Shukow am 16. April 1945 in die deutsche Falle. Ein sehr großer Teil seines Eröffnungsfeuers geht auf die bereits geräumten deutschen Stellungen nieder. Die Hauptverteidigungsanlagen und -kräfte auf deutscher Seite bleiben bei diesem Angriff weitgehend intakt. Shukows Plan, die Seelower Höhen im Sturm zu nehmen, scheitert. Daher fasst er am Mittag des 16. April einen folgenschweren Entschluss …

Quellen

  • Brennendes Oderland, Fritz Kohlase
  • Der Kampf um die Seelower Höhen, Karl Stich
  • Seelower Höhen 1945, Roland Foerster
  • Der Kampf um Berlin 1945, Tony Le Tissier
  • Seelow 1945, Richard Lakowski
  • Moskau, Seelow, Berlin, Stafan Doernberg