„Auf ein Mal wird auf Dich geschossen.“

Einsatzveteranen der Bundeswehr über die seelischen Folgen von Kampfeinsätzen

Dem bronzenen Soldaten auf dem Denkmalshügel am Hang vor Seelow ist die Krankheit ins
Gesicht geschrieben. Seine vom Helmrand verschatteten Augen zeigen einen leidenden Sieger
– ein künstlerischer Geniestreich, der sich erst bei genauerem Betrachten des
Heldenmonuments offenbart. Wer, wie dieser sowjetische Held, mit Armen und Beinen am
Rumpf und mit dem Kopf auf den Schultern nach Hause kommt, gilt als gesund. Doch der
Krieg hinterlässt Spuren in der Seele, die oft tiefer und abgründiger sind, als die Narben am
Körper. Erinnerungen der Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs sind voll von solchen
"unsichtbaren" Verletzungen. Über siebzig Jahre ist das her und scheint vergangen.
Seit den 1990er Jahren sind deutsche Soldaten wieder jenseits der Landesgrenzen im Einsatz.
Am längsten bisher in Afghanistan und dort mit den meisten Toten und Verletzten. „Es macht
etwas aus Ihnen, je nachdem in welchem Land Sie im Einsatz waren. Sie fahren hin und
kommen als ein anderer zurück.“ beschreibt Michael Gebert vom Bund der Einsatzveteranen
e.V. die Situation. Daheim herrscht im besten Falle Ahnungslosigkeit und Unverständnis:
„Wie viele hast Du totgeschossen?“ fragen die Freunde. Gebert, selbst mehrfach im
Auslandseinsatz, hilft Bundeswehrveteranen, die nach solchen Missionen an seelischen
Erkrankungen leiden. Darüber sprach er jetzt in der Gedenkstätte Seelower Höhen.
Solange Soldaten in der Bundeswehr sind, werden sie entsprechend versorgt. Bricht sich das
Trauma des Krieges erst viele Monate oder Jahre später Bahn, dann greifen die Mechanismen
des einstigen Dienstverhältnisses nicht. Der Nachweis einer Wehrdienstschädigung zur
Klärung von Versorgungsansprüchen ist ein jahrelanges Verfahren. Gesellschaftlich sind
Kriegstraumata der heutigen Soldaten kaum Thema. Wertschätzung wie Feuerwehrleute oder
Rettungssanitäter erfahren sie nicht. Zum ohnehin bestehenden Problem mit der kriegerischen
deutschen Vergangenheit kommt das Problem mit der Gegenwart und deren Kriegen.
Gebert hat einen Betroffenen mitgebracht, Soldat der Bundeswehr von 2005 bis 2011. Vier
Mal ist er in Afghanistan. Statt der angekündigten Aufbaumission wird es ein Kampfeinsatz.
„Ich hab‘ immer funktioniert, war immer unterm Radar.“ Schon Vater und Opa waren Soldat.
Er wird es auch, „ein typischer Infanterist“, und mit Überzeugung:“Ich hab so’n bisschen
Bock auf den Staat.“ Sein erster Einsatz in Afghanistan ist 2006. Da ist er so ein Soldat wie in
Filmen oder Büchern: Andere retten. Auch er ist einer derjenigen, die äußerlich unversehrt
heimkehren. Im Leben nach der Bundeswehr wird er Feuerwehrmann. Sein psychischer
Zusammenbruch kommt 10 Jahre später und hat einen ganz konkreten Auslöser. Es sind die
Fernsehbilder vom Ende des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan.
„Das war ein Triggerpunkt“ alles kam raus, was verdrängt war. „Er sieht vor dem Bildschirm,
wie die zusammengerollte Truppenfahne aus dem Flieger getragen wird. Keiner begrüßt die
Soldaten. „Als in der Pandemie ein Flugzeug mit chinesischen Masken gelandet war, hat die
halbe Bundesregierung applaudiert.“ Es ist der Moment wo er sich fragt „Warum hast Du Dir
das angetan?“ Als er zitternd in Tränen ausbricht, ist ihm klar, dass er sich Hilfe suchen muss.
Der zweite „Trigger“ kommt wenig später. Ein früherer Kamerad ruft ihn an „Du, ich springe
von der Brücke“ Dessen Einsatz ist auch 10 Jahre her. Ein Mal Afghanistan hat gereicht, um
am Abgrund zu stehen.
Viele der jungen Leute, die für Deutschland in der Welt im Kampfeinsatz sind, gehören zur
Generation Call of Duty. Sie sind mit dem Krieg aufgewachsen – so wie er im Computerspiel
passiert. Und plötzlich stehen sie in einem echten. Mit 25 Jahren machen sie ihr Testament.

Inder virtuellen wie der realen Welt des Krieges fallen Entscheidungen in Sekundenbruchteilen.
Doch im wirklichen Einsatz hat jede Entscheidung Konsequenzen.
Welcher Einheimische ist ein echter Gegner, welcher nur zur falschen Zeit am falschen Ort
und dann ein „Kollateralschaden“? Welchem meiner verletzten Kameraden helfe ich zuerst?
„Als Soldat scannen Sie Menschen: „Ist das ein potentieller Terrorist?“ Der 12-jährige
Rotzlöffel in Mali ist kaum länger als die Kalaschnikow, die er mit sich herumträgt. „Wie
sieht ein Platz aus, wo sich ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt hat?“ beschreibt
Gebert die ständige Anspannung im Einsatz. Schotterpisten statt Straßen, Sprengfallen ohne
Ende. „Das Auge sucht immer etwas ungewöhnliches.“ Schon ein simpler Holzstab im Sand
ist verdächtig. Damit peilen Attentäter Fahrzeuge an und drücken im passenden Moment den
Auslöser. „Bei 80 km/h fällt das Auto auf die Seite, Scheiben fliegen raus, sie hören nichts –
Tinitus von der Detonation. Zuerst body check am eigenen Körper. Dann bei den Kameraden.
Wann kommt Hilfe? „Haltet aus, es ist gerade Sandsturm.“
Das Zittern kommt danach." Eine Schätzung vermutet bei PTBS – Postraumatische
Belastungsstörungen eine Dunkelziffer von 20 Prozent. „Keiner sagt, ich hab Angst, auch
wenn’s vorn gelb und hinten braun rauskommt.“ Die Welt der Soldaten ist immer noch eine
Männerwelt. Traumatische Erlebnisse werden verdrängt, eingekapselt. Die Soldaten, die wir
in die Welt schicken, kehren zurück, doch viele sind noch lange nicht zu Hause.