Trauerfahrt

 

 

 

Abseits vom offiziellen Gedenken besucht der Zeitreise Seelower Höhen e.V. am Volkstrauertag drei Friedhöfe auf dem Gebiet der Schlacht um die Seelower Höhen.

Gefährlich sind die Kurven in der Senke vor Treplin; die rot/weißen Schilder zeigen es. Wer hier von der Straße abbiegt und dem braunen Hinweisschild „Kriegsgräberstätte“ folgt, der geht durch einen dichten Laubwald. Es gibt viele dieser Schilder in unserer Heimat, mehr als anderswo. Hoch recken sich die Bäume in den Himmel. Unweit der Asphaltstraße haben Umweltfrevler Müll abgeladen. Ein Haufen ausgedienter Hausrat leuchtet grellbunt als makabrer Gruß des Heute auf dem herbstlichen Laubteppich. Lückenlos bedecken die Blätter den Waldboden. Am Weg liegt ein kleines Geviert. Unerwartet, wie hingestreut in den Wald. Der Friedhof. Damals betten die überlebenden Soldaten ihre toten Kameraden in die Erde. Ein schlichter Zaun aus geraden Metallstäben. An den Längsseiten Nadelbäume. Auf dem bemoosten Grasteppich drei Reihen grauer Mini-Grabsteine, die sich ins Moos ducken. Ihre abgeschrägten Oberseiten tragen Namen, Geburtsdatum, Sterbetag. Oder nichts davon. Die toten Soldaten. Viele namenlos. Einst waren die Täfelchen aus Messing und irgendwann waren die alle weg. Buntmetall, damals so wertvoll wie heute. Jetzt sind die Schilder aus Kunststoff. Seitdem lässt das Plastik den Toten ihre Ruhe. Nichts, was auf den Grabtäfelchen und den beiden Gedenksteinen steht, sagt etwas darüber aus, was den Männern hier passiert ist. Kein Hinweis auf Einheiten, Kampfhandlungen. Der Tod ist der Tod, ohne Erklärung. Wie selbstverständlich liegen vieler dieser Friedhöfe in unserer Landschaft. Als könnten alle das alles für immer selbst verstehen.

Mitten in Lebus an der Oder liegt der große Friedhof für sowjetische Soldaten. Nebenan eine Schule. Dazwischen ein Kriegerdenkmal für Tote des Ersten Weltkrieges. Deutscher Stahlhelm auf einem Kranz, Sockel mit Inschrift. Ein unbenutztes Grablicht steht am Fuße. Wer zündet es an? Die sowjetische Kriegsgräberstätte ist jetzt eine russische. Heute scheint noch niemand da gewesen zu sein. Seit 2016 ist die Anlage saniert. Alte Gehölze weg, neue Wege, mehr Platz auf dem Gräberfeld. Für die sowjetischen Toten, die erst jetzt aus dem Boden des Oderlandes kommen. In einem Halbrund neue, unbeschriftete Tafeln. Sie werden in den nächsten Jahre Namen eingraviert bekommen. Und in den Jahren danach auch. Eine einzige Grabplatte trägt das Bild eines Soldaten. Ein Gesicht unter tausenden Toten ohne Antlitz. Unweit davon eine Panzerabwehrkanone. Ihr alter Sockel ist weg. Sie steht auf pappigen Reifen und reckt die Mündung gen Norden. Richtung Schule. Wir fahren weiter, auf das Dach von Lebus. Auf dem Turmberg, eröffnet sich der weite Blick die Oder entlang und über sie hinweg nach Osten. Das Panorama des Krieges ist heute nichts als schön.

Mallnows Dorfkirche ist seit dem März 1945 zerstört, der Turm gesprengt von deutschen Soldaten. Das ist fünf Tage, nachdem ein Wehrmachts-Feldwebel mit seinen Kameraden vor der Mallnower Friedhofsmauer steht. Die Mauer sieht noch heute so aus wie auf den Aufnahmen der Wochenschau. Für das Halten einer Stellung bekommt der Feldwebel ein Ritterkreuz, die anderen das EK II. Die ganz anderen bleiben hier. Die Ruine steht inmitten des Friedhofs. Am südwestlichen Ende liegt ein Feld metallener Grabkreuze. Bekannte und unbekannte Soldaten. Neue Wegsteine, heller Kies, ein großes Holzkreuz. Die Anlage ist gepflegt. Dienstgrade gibt es jetzt nicht mehr auf den Kreuzen. Es sind halt Soldaten, die hier liegen. Der Krieg verschont nicht den einfachen Mann und nicht den Offizier. Wird das klar, wenn es nicht da steht? Wer es weiß, der weiß es. Was ist mit denen, die es nicht wissen? Im Geviert der Kirchenruine finden sich zwei Tafeln an der Wand. Die Geschichte eines deutschen Soldaten und die eines sowjetischen. Und die Geschichte der langen Suche ihrer Familien nach dem Schicksal der Väter, die nicht nach Hause kamen. Wissen gibt der Trauer Halt.

T. Voigt

Bilderreihe