An den Gräbern – Zeitreise zum Volkstrauertag

ZSH-Spurensuche zum Volkstrauertag

Gegen den grauen Himmel wirkt der goldfarbene Stern auf dem Obelisken des sowjetischen Soldatenfriedhofs in Alt-Mahlisch wie ein weihnachtliches Ornament und wie von Kinderhand geschnitten. Der Schmuck sieht etwas ungeschlacht aus, nicht so spitzig-zackig wie der Himmelskörper des sowjetischen Staatwappens. Etwas gedrungen ist er, und eben nicht rot. Vier steinerne Stufen führen vom Straßenniveau zum Geviert der Grabplatten und -steine. Schwarzer Granit mit goldener Schrift für die leicht angeschrägt liegenden Platten, aus rotem Granit die Standsteine. Zwei Fotos finden sich darauf. Das eine Bildnis ist zerstört von der Witterung. Wasser scheint in die Oberfläche der Plakette eingedrungen zu sein und er Frost hat das Material zersprengt. Das Bildnis des toten Rotarmisten ist vollkommen unkenntlich. Sein Antlitz zu erinnern war nur ein Interim. Immerhin ist er nicht namenlos wie so viele andere auf solchen Friedhöfen. Das zweite Bildnis ist erhalten, die Fotovorlage ungewöhnlich scharf: Fassonschnitt, die Spitze des für das Foto ganz brav gekämmten Seitenscheitels fällt fast über das rechte Auge, im Blick blitzt der Schalk – ein Lausbubengesicht über dem weiß blitzenden Kragen des Sonntagshemdes, das im melierten Sakko steckt. Eine Junge im Sonntagsstaat. W.A. Andrejew stirbt am 21. April 1945. Das Geburtsdatum fehlt. Wie alt mag er geworden sein? Ein Teenie schaut uns an. Einer von denen, die von der Schulbank in den Krieg kamen. Das Foto zeigt ihn, wie seine Eltern in sahen – ihr Kind, nicht den Soldaten. Heimgekommen ist keiner von beiden.

Tags zuvor auf der Veranstaltung des Landkreises Märkisch-Oderland zum Volkstrauertag in Alt-Zeschdorf: Eine Ehrenwache der Bundeswehr an Gräbern deutscher Soldaten auf dem kommunalen Friedhof. Die Soldaten in Paradeuniform, den Hals in die Schultern gezogen, denn der Wind zieht kalt über den Platz. Kommunalpolitiker, Gemeindevertreter, Kriegsgräberfürsorge, Interessierte. Der Pfarrer gemahnt die Pflicht, jene zu suchen, die unbestattet im Boden des Oderlandes liegen. Es sind viel mehr, als auf den Friedhöfen liegen – ein Heer der Ruhelosen, wenn denn das amtliche Grab die letzte Ruhestätte ist.

In Schönfließ liegt der Friedhof inmitten des Ortes, auf leicht erhabenem Terrain. Zentral die Kirche. Typisch für die Architektur des Krieges: seit der Schlacht von 1945 stehen nur noch die Grundmauern. Gott hat hier kein Haus mehr. Neben den Resten ein provisorischer Glockenturm aus Stahlprofil. Schmucklos und viele Meter näher dem Boden als im einstigen Turm. Die Kreuze der Soldatengräber sind aus Holz. Ein pflegeaufwändiger Historismus ist dieses typische Soldatenkreuz. Das Material verrottet schnell. Ungewöhnlich: zwei Mann – ein Kreuz; Vorder- und Rückseite tragen unterschiedliche Namen. Die Grablagen sind klein, passend zu den Särgen für die gefundenen Überreste. Die Ausnahme ist ein Luftwaffenpilot, bestattet in einem Steingrab. Er stirbt im Februar 1944. Da ist der Krieg weit weg vom Oderland.

Auch Niederjesahr verliert im Frühjahr 1945 seine Kirche. Auch hier läutet die Glocke in einem stählernen Provisorium. Doch das Kirchenschiff ist wieder ein Raum. Es gibt ein modernes Dach mit großflächig verglaster Traufe. Die örtliche Kriegsgräberstätte liegt separiert hinter der alten Friedhofsmauer. Auf dem Terrain wuchern die friedhofstypischen Koniferen über schmucklose Reihen bodennaher Steine, kleiner als ein Ziegel, hart und dunkel gebrannt. Platz gibt es darauf nur für eine Zeile und nur für den Namen. Auf vielen Grabziegeln steht „unbekannt“. Zentral im Geviert der Kriegsgräber steht ein Kreuz in einem Bett aus Bergenien. Wo der Name steht, sind die Fasern des Holzes verwittert. Darunter das Wort Ritterkreuzträger zu erkennen. Der Natur sind Namen und Orden egal.

Station der Trauer

Zwei Kriegsgräberstätten gibt es in Podelzig, dem Ort am Westrand des Reitweiner Sporns.
Westlich grenzt der lokale Sportplatz an den Friedhof, südlich ein Privatgrundstück. Die Kriegsgräberstätte liegt zentral auf dem Gelände. Die Anlage ist jüngeren Datums. Drei große dunkle Holzkreuze und ein Findling bilden das Zentrum. Bronzene Bodenplatten auf hellgrauem Granit tragen die Namen toter deutscher Soldaten. Der Anfang des Februar 1945 kommt oft vor. Es ist die Zeit der ersten Kämpfe gegen die über die Oder vordringenden Rotarmisten.
Am nördlichen Ortsrand liegt die zweite Kriegsgräberstätte, wieder ein Teilbereich auf dem zivilen Friedhof. Wie uns eine ältere Damen zu berichten weiß, nahmen die Grabstätten der Soldaten früher eine größere Fläche mit separaten Grablagen ein. Heute ist das Gedenken an die Kriegstoten auf einen kleinen, aber gepflegten Bereich in der südöstlichen Ecke des Friedhofes reduziert. Ganze 16 Kriegsgräberstätten hat das Amt Lebus zu betreuen, Grabgestecke zum Volkstrauertag gehören dazu.

Fast versteckt wirkt der sowjetische Soldatenfriedhof in Manschnow. Ein Karree von Bäumen und Koniferen schirmt das Areal von der Umgebung ab. Die Kirche in unmittelbarer Nähe hat nach den Zerstörungen des Krieges ihre Form nicht wieder gefunden, auch wenn sie, anders als so viele, wieder eine Art Turm bekam. Eine schlicht gehaltene Soldatenfigur steht vor einem noch schlichteren Obelisken. Der bronzene Schütze mit Stahlhelm und Mantel hält seine Spagin-MPi vor der Brust. Über ihm prangen Sowjetstern und die Jahreszahlen 1941-1945 auf dem Stein. Ein mehrere Meter breites Plattengeviert ist gesäumt von zwei Reihen grauer Grabsteine mit Namen und Daten. Frisches Herbstlaub bedeckt die Fläche und am Fuß des Soldaten lehnt ein ewig frisch wirkender, russischer Kranz aus nicht verwelkenden Kunstblumen.

Von der Pflicht der Nachgeborenen

Am Abend vor dem Volkstrauertag erzählt die Cambridge-Doktorandin Laura Tradii vom Gedenken an die Kriegstoten in anderen Ländern. Der Blick von außen ist aufschlussreich für das Verhalten der Anderen und für das eigene. Ein Jahr lang hat die Sozialanthropologin im Oderland gelebt, zahllose Interviews geführt, mit Akteuren gesprochen und in Archiven recherchiert. Und sie hat selbst Tote aus dem Boden geborgen, wenn der VBGO hier im Einsatz ist. Im Seelower Kulturhaus stellt sie erstmals öffentlich ihre Forschungsarbeit vor. Wir kennen Laura Tradii seit Beginn ihrer Arbeit in unserer Region und freuen uns, dass sie extra aus England für diesen Vortrag anreist. Im Publikum sind viele Geschichtsinteressierte aus dem Oderland und darüber hinaus. Beschäftigen mit Geschichte ist in unserer Heimat untrennbar verbunden mit den Kriegstoten.

Bilderreihe