Herbst in Halbe

Flach fliegen die Sonnenstrahlen durch die Baumkronen und bringen das Laub zum Leuchten. In allen Gelb- und Rottönen glühen die Säume der Brandenburger Alleen. Rechts und links immer wieder Seen, Senken, Flussläufe. „Die Geografie bestimmt damals die Bewegung der Truppen.“ führt Enrico Holland die Besucher unserer Halbe-Tour auf der Busfahrt zu signifikanten historischen Punkten in das Thema des Tages ein. Alle Plätze sind besetzt. Die Gäste kommen von weither, aus Schleswig Holstein, Nordrein-Westfalen, Sachsen. Was viele von ihnen noch nicht wissen: Mit dabei ist ein Zeitzeuge, der als 16-Jähriger in den Kessel von Halbe gerät – und der das Grauen auf wundersame Weise überlebt. Dabei gibt es damals keine Wunder mehr. Schon gar nicht jenes, dass Zarah Leander besingt. „Und die Wunderwaffen, an die wir geglaubt haben, kamen auch nicht.“ erinnert sich Günther Lysk. Was ihn damals rettet, ist ein älterer Soldat, der sich seiner annimmt. Der Mann ist kriegsversehrt. Einen Arm in der Sowjetunion verloren, taugt er dem Regime noch zum Volkssturmmann. Gemeinsam kommen sie in den Halber Kessel und durch ihn hindurch – eine Odyssee durch ein Waldmeer, gespickt mit Gefahren. Der Untergang des „Dritten Reiches“, der Zusammenbruch der Diktatur, des Staates, des Militärs, der Bürokratie, der Zivilisation – all das bündelt sich hier auf hell-sandigen Wegen zwischen endlosen Forstschlägen. Unteroffizier und Gefreiter – der eine blutjung, der andere aus der kindlichen Perspektive mit seinen 26 Jahren uralt. Das ungleiche Paar zieht durch das Kriegsende, vorbei an anderen Soldaten mit und ohne Waffen, ohne Führer, ohne Orientierung. Es gibt keine Karten, keinen Kompass, nur Instinkt. Den hat der „Uffz“.  Günther Lysk ist zu jung für Instinkt, aber voll mit dem, was der Nationalsozialismus seine Heranwachsenden glauben macht. Zeitzeuge und Begleiter ergänzen sich perfekt und geben sich Raum. Der eine erzählt seine persönlichen Erlebnisse mit beeindruckender Lebendigkeit, als läge kein Filter von sieben Jahrzehnten darüber. Das fesselt die Besucher wie der Überblick des anderen über das große Geschehen um den damaligen Teenager in Uniform: der Weg der 9. Armee von der Schlacht um die Seelower Höhen in ihren Untergang in den Wäldern südlich von Berlin. Das große Abwracken im märkischen Sand. Ein Schrottplatz und Friedhof der Geschichte, kurz bevor eine neue Welt entsteht.

Am Ende stehen wir zwischen den Kiefern im abnehmendem Herbstlicht. Das halbe Hundert der Besucher applaudiert. Die Bäume schwinden in der Dunkelheit wie die Geschichte, die jeder mit nach Hause nimmt.