Unsere erste Tour zum großen Bollwerk östlich der Oder führt bei hochsommerlichen Temperaturen über und unter der Erde durch vergangene Zeiten.

Freitag – 25. Mai

Ab 12:00 Uhr in Burschen (Boryszyn) bei Peter; wir erledigen noch Einkäufe, bereiteten Vortragsraum und Grillplatz vor, treffen Detailabsprachen zur Durchführung.

Um 16:00 Uhr zum Hotel nach Keszyca Lesna für die letzten Absprachen.

Zwischen 17:15 Uhr und 17:30 Uhr treffen alle Gäste ein, beziehen ihre Zimmer; dann verlegen wir zu 18:15 Uhr nach Burschen. Hier erfolgt die offizielle Begrüßung und Vorstellung, dann wird der Ablauf der nächsten Tage erläutert. Im gemütlichen Keller des Hauses gibt es zwei kleinere Vorträge. Sie haben alles zum Inhalt, was zum OWB gehört: politische Rahmenbedingungen, Bauplanungen, Bauablauf. Was wurde gebaut (Gewässeranlagen, Tunnel, mit Kleinbahnstrecken, Bahnhöfen, Kasernen, technischen Räumen, Panzerwerke, Werkgruppen, Panzersperren, beweglichen Brücken, Stauanlagen usw.). Alles gut bebildert, mit Zeichnungen und historischen Fotos, Kartenausschnitten u.a.m.

Dann gibt es eine Pause mit Abendessen, frisch gegrillt. Nicht nur im Hotel, auch hier gibt es mehr als reichlich und alles in herzlicher Atmosphäre. Hier kommt es zu interessanten Gesprächen, gegenseitigem Kennenlernen. Ein dritter Vortrag hat dann den OWB im Krieg zum Inhalt; wie wurde er 1939 genutzt, der erfolgte Rückbau ab 1940/41, die Nutzung während des Krieges, als Lagerort z.B. für Kunstschätze und durch die Daimler-Benz AG, die ihr Motorenwerk von Genshagen in Teile der unterirdischen Tunnel verlegte. Wie wurde der OWB dann ab Oktober 1944 reaktiviert; was gab es an Stellungsbau seit dem Spätsommer 1944. Anschließend werden die Kräfte und Absichten beider Seiten sowie der Ablauf der Kampfhandlungen erläutert und, was die Rote Armee nach dem Ende der Kampfhandlungen vorfindet – dies nicht allein mit Fotos; auch historische Filmaufnahmen sind zu sehen.

Im Anschluss klingt der Abend am Lagerfeuer aus; Würstchen brutzeln am Stock im Feuer eine polnische Spezialität. Da sind die meisten noch pappesatt vom Abendessen. Hier deutet sich an, was sich dann fortsetzt: die Verpflegung lässt, trotz Bewegung, keinerlei Abnehmen zu. Eher das Gegenteil ist der Fall! So klingt der Abend mit Gesprächen, alkoholischen und nicht alkoholischen Getränken aus. In Polen gilt 0,0 Promille. Hier wollen die beiden Fahrer der Gruppe nichts riskieren. Um 24:00 Uhr kommen wir im Hotel an und fallen zufrieden in die Betten.

Samstag – 26. Mai

Nach einer angenehmen Nacht, sammelen sich alle um 08:00 Uhr zum Frühstück. Für polnische Verhältnisse ist es top und auch international gute Mittelklasse.

Nach einer Erläuterung des Tagesablaufes verlegen wir mit zwei Autos nach Pniewo zum
dortigen Panzerwerk 717. Hier treffen wir um 09:00 Uhr auf Peter mit fünf Gäste aus Berlin. Sie schließen sich der Untertageführung an. Nach einer Einführung durch Peter und einer Außenbesichtigung des Panzerwerkes steigen wir in die Unterwelt. Zunächst wird am Beispiel dieses Panzerwerkes der Aufbau und die Funktion der Räume, die Bewaffnung und ihre Wirkmöglichkeiten erläutert. Dazu kommen Infos aller Art, wie zu Gasschutz, Belüftung, Stromversorgung, Heizung, sanitäre Bedingungen und Unterbringung in dem zwei Stockwerke umfassenden Bauwerk. Dann geht es über 20 Meter in die Tiefe – über zahlreiche, nicht enden wollende Treppenstufen in einem Schacht, in dem sich ursprünglich neben Versorgungsleitungen auch ein Fahrstuhl/Lastenaufzug befindet. Unten angekommen erreichen wir die unterirdischen Kasernen und technischen Räume. Anschließend geht es über einen Verkehrshohlgang zum Haupthohlgang. Es gibt insgesamt bis zu 30 Kilometer unterirdische Tunnel und daran angeschlossen zahlreiche Räume und Schächte zu den Panzerwerken. In den Verkehrsgängen sind Kleinbahngleise verlegt – für die Züge zum Material- und Personentransport. Zum Schienensystem gehörten auch Bahnhöfe mit Ausweichgleisen. Während der Begehung erläutert uns Peter ausgiebig alles, was wir sehen. Dazu zählt auch der Schacht für ein nie gebautes Panzerwerk. Hier lassen sich gute Eindrücke zum Bau solcher Anlagen gewinnen. Auch den Bereich des ehemaligen Motorenwerkes sehen wir. Hier vermitteln historische Fotos, der Anblick der Maschinenfundamente und der Anschlüsse deutliche, auch beklemmende Eindrücke.

Nach etwa drei Stunden und ca. acht Kilometern Fußweg steigen wir beim teils gesprengten Panzerwerk 716 wieder ans Tageslicht. Mit der angenehmen, unterirdischen Kühle ist nun vorbei. Schwüle Temperaturen von 25 Grad empfangen uns an der Oberfläche. Zunächst lenkt die traumhafte Aussicht davon ab. Nach einigen Erläuterungen geht es im Fußmarsch durch die betonierten Panzerhindernisse, „Drachenzähne“ genannt, die hinter einem Panzergraben auf etwa 30 km Länge vor dem Zentralabschnitt verlaufen. So gelangen wir zum Museumsbereich. Hier gibt es bei einem guten Burgerbrater den Mittagsimbiss. Für alle wieder beeindruckend sind Umfang, Preis und das schon gewohnt-wohlige Gefühl des Sattseins. Im Anschluss hören gibt es neben dem Museum, mit einem T-34/85 im Rücken und mit Blick auf das Panzerwerk 717, einen Kurzvortrag über die Kämpfe in diesem Raum und das Niederringen der Panzerwerke durch schwere Artillerie Mitte Februar 1945.

Weiter geht es nach Hochwalde (Wysoka), wo wir an einem ehemaligen Panzerwerk der Nischlitz-Obra-Linie halten. Auch dies ist ein Raum schwerer Kämpfe, wo die Besatzung erst Mitte Februar 1945 nach Beschuss durch schwere Artillerie aufgibt. Von hier geht es für uns weiter zum einzigen wirklich gebauten Eingang in das unterirdische Hohlgangssystem. Er ist so groß, das hier die Kleinbahn damals ein- und ausfährt. Der Zugang wird 1945 gesprengt; das geplante Eingangsbauwerk zu seiner Sicherung wird nie gebaut. Heute versperrt ein Stahlgitter das Portal. Dann der Weitermarsch nach Norden, die „Bunkerallee“ nach Kainscht (Keszyca) entlang, zweimal mit Halt, um Bauwerke anzufahren. Dabei kommen wir immer wieder mit anderen deutschen Besuchern ins Gespräch. Abseits fester Wege geht es meist sehr holprig und äußerst staubig weiter. So wie sich das gehört. Auf unserer Route nach Norden halten wir immer wieder an ausgesuchten Stellen, um auf besondere Punkte und Kampfhandlungen einzugehen – so die verschiedenen Arten von Panzersperren, besondere Bauwerke bzw. andere Bauwerksformen und auf die Kämpfe in diesem Raum. An der Straße nach Pieski sehen wir einen „Hindenburgstand“, der damals Schutz für die Besatzung bietet, als Unterstellmöglichkeit für eine 3,7 cm-Panzerabwehrkanone dient und mit einem Maschinengewehr bewaffnet ist. Die Kanone kann aus einer offenen Feuerstellung wirken. Weiter geht es zu Fuß die Straße nach Pieski entlang zum gesprengten Panzerwerk 741. Im Areal der bis hierhin reichenden „Drachenzähne“ bleibt der Vorstoß einer verstärkten sowjetischen Panzerbrigade am 31. Januar 1945 endgültig liegen. Nach der Rückkehr zu unseren Autos geht es in Richtung Kurzig (Kursko) zur Werkgruppe Schill. Davor befindet sich eine von zwei Drehbrücken im OWB. Diese können im Ernstfall ausgeschwenkt werden und bilden dann ein Panzerhindernis. Die dahinter liegende Werkgruppe soll eine Eisenbahnlinie und eine wichtige Straße sichern. Sie besteht aus zwei Panzerwerken, die untereinander durch ein Tunnelsystem verbunden sind, in dem sich auch Kasernen und technische Räume befinden. Daneben besteht keine unterirdische Verbindung zu anderen Anlagen. Der Hohlgang endet etwa drei Kilometer südöstlich. Hier gewinnen wir einen Eindruck von der Enge in solchen Anlagen, sehen die Schlafbereiche, die Sanitäranlagen usw.

An diesem Ort endet auch unsere Fahrt für den Samstag und wir kehren ins Hotel zurück –sichtlich zufrieden und erschöpft durch Anstrengungen und Wetter. Kurz nach 18:00 Uhr treffen wir im Hotel ein. Alle nutzen die Zeit bis zum Abendessen, um ausgiebig zu Duschen oder zu Baden. Danach finden wir uns auf der Terrasse zusammen.

Um 19:30 Uhr beginnt das Abendessen. Auch dies wird ein Höhepunkt. Die Hotelbelegschaft gibt alles, vom Grillmeister bis zur Kellnerin. Es ist nicht nur köstlich sondern mehr als reichlich: Suppe (Zurek, eine polnische Spezialität). Dann werden Brot und Salate heran geschleppt. Das lässt erahnen, was noch kommen wird: das „dicke Ende“: Schaschlick, Fleisch (Rind/Huhn), Würste aller Art und in einer solchen Anzahl, dass es nicht zu bewältigen ist. Als dann alle denken, es ist geschafft, kommt noch ein Dessert. Kuchen (Schoko und Kokos), sehr lecker. Bei Bier, Cola, Wodka und guten Gesprächen endet der Abend gegen 23:00 Uhr.

 

Sonntag – 27. Mai 2018

Nach einem ebenfalls ausgiebigen Frühstück beginnt um 9:15 Uhr der „dritte“ Tag unserer Rundreise. Diesmal geht es in den Südabschnitt der Festungsfront. Zunächst fahren wir nach Liebenau (Lubrza). Hier gibt es Erläuterungen zum Südabschnitt, der sich im wesentlichen auf Wasserhindernisse (Kanäle, Seen, Flüsse) und Stauwerke stützt und deutlich weniger Panzerwerke und Werkgruppen als der Zentralabschnitt besitzt. im Raum Liebenau erfolgt 1945 auch der entscheidende sowjetische Durchbruch, der dann die im Zentralabschnitt gehaltene Festungsfront zu Fall brachte. Weitere kleine Durchbrüche erfolgen südlich bei Skampe (Skape) und Hammer (Przetocznica), sowie im Nordabschnitt westlich Schwerin (Skwierzyna). Zunächst besuchen wir das Panzerwerk 694, dass einem Privatmann gehört. Er hat das Grundstück mit dem gesprengten Bauwerk gekauft und rekonstruiert das Panzerwerk. Nach dem Herstellen der Außenhülle geht es innen voran. Die Ergebnisse sind sehr sehenswert. Auf diese Weise können alle Gäste gute Eindrücke gewinnen, die woanders so nicht zu haben sind. Der Besitzer führt uns persönlich durch sein Reich, gibt ausführliche Erläuterungen und beantwortet unsere Fragen.

Weiter geht es nach Neudörfel (Nowi Wioska), südwestlich von Liebenau. Hier führt eine Straße über eine Kipprollbrücke, geschützt von zwei kleineren Panzerwerken. Eines ist damals mit zwei Maschinengewehren bestückt, das zweite beherbergt eine Panzerabwehrkanone, die aus offener Stellung schießen soll. Beide Panzerwerke sind gesprengt, nur eines zugänglich. Hier läßt sich die Funktion einer Drehbrücke erläutern, dem vorherrschenden Typ der beweglichen Brücken im OWB. Davor befindet sich eine Balkensperre – ein weiterer interessanter Typ eines beweglichen Panzerhindernisses. Über die Brücke, an der wir jetzt stehen, erfolgt der Durchbruch und spätere Durchmarsch starker gepanzerter sowjetischer Kräfte und Infanterieverbände, was auf sowjetischer Seite zu großen Verkehrsstauungen führt. Weiter geht es für uns nach Mühlbock (Olobok). In der Nähe dieser Ortschaft befindet sich das „Wasserschloss“. Dabei handelt es sich um ein unbewaffnetes Regulierungsbauwerk, das den Abfluss des Nitschlitzsees kontrolliert, der als Hauptwasserspeicher für die Stauflächen südlich davon dienen soll. Das Bauwerk ist in der stärksten Bauweise A ausgeführt, mit 3,5 Metern Wand- und Deckenstärke. Vor dem Bauwerk befinden sich eine Kipprollbrücke und eine Balkensperre.

Zum Schutz bzw. zur Sicherung stehen westlich davon weitere Panzerwerke.

Weiter geht es zum letzten Punkt, dem Panzerwerk 669 bei Möstchen (Mostki). Hier scheitert der Durchbruchsversuch eines sowjetischen gepanzerten Verbandes mit etwa 40 Panzern und 2000 Mann am Widerstand der Werkgruppe Lietzmann (zu der das Panzerwerk gehörte), infanteristischen deutschen Kräften aus Feldstellungen und dem Beschuss einer deutschen 8,8 cm-Flakbatterie.

Nach einer Rundfahrt durch das Dorf halten wir Ausschau nach Spuren des Krieges: ein zerstörtes Panzerwerk und Feldstellungen am Rande der Ortschaft. Dort halten wir ein letztes Mal. Im Schatten der Bäume wird der Rechner angeschaltet. Bei abschließenden Erläuterungen wurden historische Aufnahmen von Möstchen aus der Bauphase des OWB sowie Bilder vom Bau des Panzerwerkes 694 gezeigt.

Hier endet dann unsere Wochenendtour, nach interessanten Erläuterungen, zahlreichen Besuchen mit zahllosen Eindrücken und schönen Erlebnissen rundherum. Nach einem Abschlussgespräch und der Verabschiedung machen sich sichtlich zufriedene Gäste und ein erschöpfter und bestens zufriedener „Reiseleiter“ auf den Weg nach Hause.

Text: André Vogel

 

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