ZSH geht in die Luft

 

 

Zum Herrentag zeigten wir unseren Gästen das Schlachtfeld der Seelower Höhen erstmals aus der Fliegersicht

Flugwetter! Einen locker gewebter Teppich aus Wattewolken spannt sich vor blauem Himmel über den Flugplatz Neuhardenberg. Wir stehen mit unserem Zeitreisemobil an einem Shelter, in dem im Kalten Krieg eine MIG 21 des NVA-Jagdfliegergeschwaders 8 ihren Unterschlupf hat. Heute reicht der Platz für drei Cessna hintereinander. Die Superlative sind am Ort geblieben und sehr ähnlich: 1955 fliegt die erste Cessna. Sie wird das meist gebaute Flugzeug der Welt. Ein Jahr später fliegt die erste MIG 21. Sie wir der weltweit meistgebaute Überschallflieger.

 

Eine dieser vielen Cessna soll uns im Himmel über das Schlachtfeld führen. Wir werden das Kampfgebiet aus einer völlig neuen Perspektive erleben. Neben dem Piloten passen drei Mann in die Maschine. Mit Kennerblick taxiert der Flugzeugführer den Bodymaßindex seiner Passagiere und hat dabei die Trimmung im Auge. Vier Personen ist die Grenze des Möglichen. Gut Genährte gehören geschickt verteilt im engen Innenraum des fragilen Fluggerätes. Peinlich berührt fällt uns als historische Parallele der ehrgeizige 2-Meter-Mann ein, der sich am Gran Sasso neben dem just befreiten „Duce“ ohne Rücksicht auf jedes Risiko in den Fieseler Storch quetschte.

Hier gibt es pro Flug einen Reiseführer vom ZSH, der das ungewohnte Panorama mit dem geschichtlichen Geschehen verbindet. Die Maschine startet gegen den Wind in Richtung Osten und strebt schnurgerade in 200 Metern Höhe zur Oder. Von den 2400 Metern der Sart- und Landebahn braucht der kleine Flieger einen Bruchteil. Große Jets fliegen hier schon lange nicht mehr. Über das Kampfgebiet der 9. Fallschirmjägerdivision führt die Strecke vorbei an Letschin, mit dem Blick auf Sophienthal und das nördlich davon gelegene Kienitz als Ort des ersten sowjetischen Brückenkopfes. Exakt über dem in der Sonne glänzenden Grenzfluss kurvt die Maschine nach Norden ab und folgt dem Lauf des sich unter uns schlängelnden Gewässers. So von oben sind Besonderheiten des Geländes hervorragend zu erkennen: Buhnen, Überschwemmungsgebieten, sumpfige Wiesen. Alles wirkt wie eine Bebilderung der Berichte aus dem Krieg – in filmisch, schneller Folge. Aus der Vogelperspektive schmilzt die Dimension der Schlacht dahin. Vor allem die zeitliche. In 30 Minuten Rundkurs ist das Gebiet vier mal durchquert. Damals dauert es bald 10 Wochen – in einer Richtung. Voraus hebt sich Küstrin aus dem in der Ferne leicht dunstigen Panorama. Schnell erkennbar sind die Schornsteine der Papierfabrik, die rote Ziegelband der Festung, das sumpfige Gelände südlich der Stadt, in dem 1945 der Angriff der Roten Armee stockt. Nördlich folgt der Oder-Bogen, der den zweiten Brückenkopf markiert, bei Reitwein. Und schon sind wir über dem Reitweiner Sporn. Von oben nivelliert sich der Ausläufer zu einer dunkelgrünen Farbzunge in der Landschaft. Komisch: aus der Höhe ist seine Höhe nicht zu sehen. Was ihn von unten schwer einnehmbar erkennen lässt, macht ihn von oben her zur Lappalie, „… nichtig und klein …“. Ein Einkurven nach Süden bringt uns über Klessin. Das neue Klessin ist eine Reihe Häuser im Straßenverlauf, das alte eine sandige, aufgegrabene Wüste.

 

Unlängst fand der Verein zur Bergung Gefallener in Osteuropa (VBGO) hier mehrere Kriegstote, in den Kellern des einstigen Schlosses – wieder mal. Dem Verlauf des Höhenzugs folgend, überfliegen wir Libbenichen, den Saumberg bei Dolgelin, querab ist Sachsendorf zu sehen, damals unweit des Frontverlaufs am 16. April 1945 gelegen. Das heutige Seelow zeigt sich prall und groß – im Vergleich zu dem Ort auf der Karte, auf der Oberleutnant Tams kurz vor der Schlacht seine Verteidigungsbereiche markiert. Der Kirchturm ragt hell hervor; 1945 verschwindet er in einer Explosionswolke. Zwei Geraden kreuzen sich in der Kreisstadt: die in die Landschaft schneidende Bahnlinie von Süd nach Nord und die einstige Reichsstraße 1. In der östlichen Ferne läuft die damals wichtigste Vormarschstraße auf das im Dunst des Horizontes liegende Kostrzyn zu. Eine weitere Linie folgt, diesmal von West nach Ost laufend, die alte Ostbahn. Der Bahnhof Seelow-Gusow markiert uns das Gebiet des Durchbruchs der Roten Armee – da, wo die Seelower Höhen in die Ebene fließen und kein geografisches Hindernis mehr sind. Im Überfliegen des Wulkower Forstes blicken wir auf das waldreiche Kampfgebiet westlich der Seelower Höhen. Das Bild hinter der Schönheit sagt: das Kämpfen ist hier in diesen Wäldern nicht einfacher geworden. Im Sinkflug nähern wir uns dem Flugplatz. Tausende chinesische Solarpanele reflektieren die Sonnenstrahlen. Die neue Zeit hat die fliegerische, die politische und jede andere Vergangenheit größtenteils überdeckt mit einem Glitzerteppich. Unser Pilot schrägt die Maschine gegen den Seitenwind. Wir setzen auf und sind zurück im hier und jetzt, mit einem Kopf voller Bilder – unser ganz persönliches Luftbildarchiv.

Text: Tobias Voigt

 

Bilderreihe