Tour über das Schlachtfeld – Truppe im Focus

 

 

Spezialtour zur 20. Panzergrenadierdivision

Es sind viele und sie sind weit gefahren, um an diesem Septembermorgen zwischen Feldern an einem der zahlreichen Entwässerungsgräben des Oderbruchs zu stehen. Manch bekannte Gesichter sind darunter, Teilnehmer früherer Schlachtfeldtouren. Die Autos tragen Nummernschilder aus Niedersachsen, dem Thüringer Wald, von der Ostseeküste, aus Sachsen. Die Besucher von weit her stehen auf der historischen Frontlinie zwischen den Truppen der Deutschen Wehrmacht und der Roten Armee des 16. April 1945. Damals beginnt hier die sowjetische Großoffensive in Richtung Westen. Deren Ziel ist die Reichshauptstadt Berlin. Fast eine Million Soldaten, mehrere tausend Panzer und Flugzeuge sowie zehntausende Geschütze sollen den Durchbruch erzwingen und den Weg in das politische Zentrum des Deutschen Reiches freikämpfen. Das steht in Büchern und es ist in Dokumentation zu sehen. Wer sich so der Geschichte nähert, sitzt meist bequem zu Hause auf dem Sofa , vor PC oder Fernseher. Aber es geht auch anders – dahin fahren, wo es passiert ist.Genau dafür sind hier so ganz unterschiedliche Fahrzeuge versammelt: ausgewachsene Geländemobile wie der Allrad-Mercedes oder ein nagelneues Quad neben Audi-Kombi, BMW-Limousine, VW-Kleinwagen und Motorrädern. Der Fuhrpark ist so gemischt wie der von 1945 – ein realistisches Abbild von der ganz unterschiedlichen Beweglichkeit der damaligen Truppen auf diesem Schlachtfeld.

 

Unser neues Format fokussiert das komplexe Geschehen der Schlacht um die Seelower Höhen auf das Beispiel einer Truppe. André Vogel, ausgewiesener Kenner der Thematik und Autor mehrerer Bücher dazu, hat diese Tour erdacht, geplant, gestaltet und bringt sie nun in’s Leben. Im Verlauf des Tages folgen wir mit Halt an sechs Stationen dem Weg der 20. Panzergrenadierdivision und ihrer unmittelbaren Gegner. Diese Einheiten kämpfen 1945 im Zentrum der Schlacht um die Seelower Höhen, nördlich und in Nähe zur Reichsstraße 1, die heutige Bundesstraße 1. Über 70 Jahre später vollziehen wir die Bewegungen der Einheiten nach und durchqueren dabei das einstige Kampfgebiet von Ost nach West. Unsere Kolonnenfahrt in der Verlaufsrichtung der damaligen Ereignisse vollzieht die Wendungen der damaligen Truppenbewegungen nach: Halten, Ausweichen, Gegenangriffe, Rückzüge. Wir fahren durch eine wechselvolle Landschaft: die deckungslose Ebene des Bruchs, der Höhenzug mit der weitreichenden Sicht auf das Kampfgebiet bis zur Oder und die im Westen folgenden, sanften Hügelketten und dichten Waldgebiete. All das hat sich bis heute nicht geändert. Das Gelände des Schlachtfeldes sieht weitgehend so aus wie einst. Genau das macht den Kampf um die Seelower Höhen auch so viele Jahre später nachvollzieh- und erfahrbar.

André führt die Besucher über das Schlachtfeld, zeigt, erläutert, erklärt, demonstriert, antwortet. Mit dem klaren, schnörkellosen Erzählen werden die nüchternen Fakten von Krieg und Kampf zu lebendigen Bildern. Die markanten Einschätzungen der Lage auf beiden Seiten schärfen das Bewusstsein der Besucher für das Drama, dass sich hier im Frühjahr 1945 abspielt und tagelang hinzieht. Einzelschicksale, Begebenheiten, Anekdoten – sie leuchten im Strom des Erzählten wie Bojen und geben den Gedanken Anker im Sog der großen Geschichte. Manches wirkt wie ein Hieb: nüchterne Pointen klatschen den Zuhörern nur so um die Ohren. Vielleicht scheint es gerade deshalb so brutal, weil alles um uns herum so unbedarft friedlich wirkt. Zur Mittagszeit sind wir auf dem Krugberg nördlich von Seelow. Von den Flak-Stellungen der deutschen Verteidiger ist nichts mehr zu sehen, der kolossale Blick über das einstige Schlachtfeld dagegen schon. Wer hier steht und nach Osten schaut, dem steht ein riesiges Panorama vor Augen. Bei dem schönem Wetter, das uns begleitet, ist das Schlachtfeld vor dem Höhenzug ist bis hin zur Oder zu überblicken, in einer Tiefe von 20 Kilometern und gut jeweils 30 Kilometer vom Standort des Betrachters nach Süden und nach Norden. Wie eine lebendige Landkarte liegt das Gebiet vor uns und der Verlauf des Kampfes von 1945 lässt sich hier mit den kundigen Erzählungen des Spezialisten sehr eindrucksvoll beschreiben.

Vor dieser eindrucksvollen Kulisse setzen wir uns zur Mittagspause. Eindrucksvoll ist auch das Essen, dass Koch Roman den Besuchern vorsetzt: Kascha und Salzhering! Wer beim Anblick dieser Mahlzeit zunächst frohgemut-erwartungsvoll dreinschaut, dem vergeht das Lächeln bald. Wenn nicht schon die Buchweizengrütze auf dem Teller liegen bleibt, die immerhin als eine Pseudo-Reisbeilage durchgehen mag, so schafft es doch kaum jemand, die labberig-kalten Fischbrocken rein- und erfolgreich runterzuwürgen. Diese Standartmahlzeit für sowjetische Soldaten haben wir extra für die Tour zubereiten lassen, für einen ganz real und persönlich nachvollziehbaren Eindruck vom Leben in den Schützengräben. Der Krieg geht durch den Magen. Den verwöhnten mitteleuropäischen Geschmack des 21. Jahrhunderts trifft so etwas hart. Nach dem ersten Schrecken wird aber klar, dass es eine kulinarische Alternative gibt: leckeren Kesselgulasch, soviel gewünscht ist. Ohne Verpflegung keine Bewegung. Gestärkt zieht der Tross weiter gen Westen. Die kleine Armada rumpelt tapfer über ausgefahrene, zerfurchte Wald- und Feldwege. Görlsdorf, Alt Rosenthal, Trebnitz – Namen aus Frontberichten, aus Geschichtsbüchern, für Ortsfremde Schall und Rauch. Wer nie hier war, verliert schnell die Orientierung: wo sind wir, wo ist Berlin, von wo ‚kommt‘ der Feind?!? An jedem Punkt stellen sich diese Fragen neu. Wie geht das Soldaten under attack, auf verlorenem Posten, ohne Reserven? Und wie geht es den zum Erfolg verdammten Angreifern mit ihrer totalen materiellen Überlegenheit aber mit dem völlig unwegbaren Risiko für das eigene Überleben auf den letzten Kilometern vor der ‚Höhle des Löwen‘? Das Unbeschreibbare beschreiben, illustrieren, nahe bringen – das ist die Essenz dieser Touren-Arbeit.

Unser Troß hält vor Müncheberg, unter Windrädern, die monoton in ausgedehnten Maisfeldern rauschen. Über den Pflanzenhorizont hinweg ragt eine fragil anmutenden Kirchturmspitze in den grauen Himmel. Karten raus und Kompass, Zeigen, Beschreiben, Einordnen, Bewerten Bilanzieren – für dieses Mal zum letzten Mal. Endstation; hier ist die Schlacht geschlagen und mit dem Fall der Stadt voraus verloren. Es nieselt auf die letzten Sätze; alle harren aus; der erste Regen an diesem Tag. Manche werden wieder kommen. Das Schlachtfeld ist groß, seine Geschichte größer.

T.Voigt

Bilderreihe